Der aus dem schlesischen Teil der Habsburgermonarchie stammende Historiker Josef Pfitzner (1901–1945) war eine umstrittene Persönlichkeit. Er studierte zu Beginn der 1920er Jahre Geschichte an der Deutschen Universität in Prag, wo ihn sein Lehrer, der österreichische Historiker Hans Hirsch (1878–1940), stark prägte. 1930 wurde Pfitzner in Prag Professor für osteuropäische Geschichte. In jener Zeit unterhielt er noch gute Kontakte zu einigen tschechischen Kollegen, wie dem bedeutenden Historiker Josef Pekař. Er publizierte teils international respektierte Werke, so über den litauischen Großfürsten Vytautas (1930) und Bakunin (1932). Andererseits radikalisierte sich der bereits schon zuvor deutschnationalistisch eingestellte Pfitzner nach 1935 weiter und engagierte sich zunächst für die Sudetendeutsche Partei und später für die NSDAP. Damals veröffentlichte er mehrere propagandistische Werke über die Sudetendeutschen. Nach der deutschen Besetzung der Tschecho-Slowakei und der Bildung des Protektorats Böhmen und Mähren im März 1939 wurde Pfitzner stellvertretender Bürgermeister der Stadt Prag und trug zur Durchsetzung der NS-Politik gegenüber Juden und Tschechen bei. Nach dem Krieg wurde Pfitzner in Prag verhaftet, angeklagt und zum Tode verurteilt.
Ziel des Projektes ist die Einleitung, Edition und Kommentierung des bisher unpublizierten Briefwechsels (266 Dokumente) zwischen Hans Hirsch und seinem Schüler Josef Pfitzner aus den Jahren 1922-1939. Die Korrespondenz gibt Aufschluss über das deutsche Prager Historikermilieu der Zwischenkriegszeit und das Leben und Wirken des dort wirkenden Pfitzners. Der intensive Briefwechsel bietet bisher unbekannte Einblicke in die wissenschaftlichen Aktivitäten und politischen Einstellungen dieser beiden Geisteswissenschaftler.
Kontakt: Dr. Stefan Lehr