Frauenbewegungen im östlichen Europa (1848-1933)
Titelblatt der von Marie Wegner in Breslau herausgegebenen Zeitschrift „Die Frau der Gegenwart", Jahrgang 8 (1913) Heft 5 (Wikimedia Commons)
Die Frauenbewegung in Deutschland hat seit Mitte des 19. Jahrhunderts nicht nur erfolgreich wichtige staatsbürgerliche Rechte für Frauen erstritten, sondern auch wesentlich zur Modernisierung (fast) aller gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen, kulturellen und wissenschaftlichen Bereiche beigetragen. Ihre Akteurinnen entstammten unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus und sie bedienten sich verschiedener Medien und Aktionsformen, um ihre Forderungen und Vorstellungen einer gerechteren Welt zu formulieren.
Die Erforschung dieser so genannten ersten, historischen Frauenbewegung hat seit den 1970er Jahren einen enormen Zuwachs an Wissen erbracht, dennoch weist sie bis heute zahlreiche Desiderate und Forschungslücken auf. Dies betrifft u.a. die Erforschung der Frauenbewegung in den östlichen Reichsprovinzen. Denn obwohl Breslau, Stettin und Königsberg als Veranstaltungsorte für Frauenkongresse, als Erscheinungsorte von Zeitschriften und Streitschriften von und für Frauen gleichberechtigt neben Köln, Frankfurt/M., Berlin und anderen standen, sind die Vereine und Verbände, die Medien und Protagonistinnen dieses wichtigen und produktiven Teils der deutschen Frauenbewegung nach wie vor so gut wie unerforscht.
Die große Vielfalt der Ansätze, Aktionsfelder und Ziele, die christliche und jüdische Vereine, politische, akademische und berufsständische Zusammenschlüsse, Bildungsinstitutionen und Konsumgenossenschaften usw. verfolgten und umsetzten, soll sichtbar(er) werden ebenso wie die Beziehungen und Verflechtungen zu verwandten Bestrebungen in den östlichen Nachbarländern und deren deutschsprachigen Gruppierungen.
Das mehrjährige Forschungsvorhaben beginnt mit einem Modul zu Akteurinnen, Einrichtungen und Netzwerken der Frauenbewegung in Schlesien ausgehend von der Biografie Marie Wegners (1859 – 1920), einer ihrer wichtigsten Protagonistinnen. Es wird durchgeführt in Kooperation mit dem Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel (https://www.addf-kassel.de/).
Kontakt: Dr. Heinke Kalinke
CfP Workshop 2024 im Rahmen des Projekts Frauenbewegungen im östlichen Europa 1848-1933
Frauenbewegungen in den östlichen Provinzen des Deutschen Reichs um 1900
Um 1900 befand sich die deutsche Frauenbewegung auf einem organisatorischen Höhepunkt. Das gilt für die Anzahl und Diversität der beteiligten Personen und Organisationen sowie die Entfaltung einer eigenen Publikationstätigkeit samt medialer und sozialpraktischer Präsenz in der Öffentlichkeit. Ein Blick in die Forschungsliteratur legt nahe, dass - ähnlich wie bei vielen anderen Reformbewegungen der Moderne - auch ihre Aktivitäten vor allem von den großen Städten ausgingen bzw. vornehmlich diese erforscht wurden. So können neben Berlin Leipzig, Dresden, Hamburg und München als Zentren der Bewegungen angesehen werden, die auch in ihrer Erforschung im Fokus standen.
Aber wie stand es um die Frauenbewegungen in der Provinz und in den größeren Städten vor allem in den östlichen Reichsprovinzen? Welche Vereine und Verbände gab es in Breslau, Danzig oder Königsberg, welche Formen und Akteur:innen fand das Engagement für die Frauensache in den Klein- und Mittelstädten Schlesiens, Pommerns oder Ostpreußens? Wie nahmen Frauen, die als Angehörige deutscher Minderheiten in anderen Staaten und Regionen des östlichen Europas lebten, etwa im Baltikum, in Ungarn, Rumänien oder in den böhmischen Ländern, an den Bewegungen Anteil und wie brachten sie sich ein? Gab es Themen, Medien und Agitationsformen, die hier eine besondere Rolle spielten oder nicht zum Tragen kamen? Und was bedeutete die „Randlage“ für das Verhältnis zu den Dachorganisationen wie dem Bund deutscher Frauenvereine (BDF)?
Das Verhältnis und die „Wechselwirkungen zwischen Zentrum und Provinz“1 beschäftigten Protagonistinnen der Bewegung bereits um die Jahrhundertwende, und auch die Forschung hat sich mit dieser Frage befasst. Tiefergehende Analysen, wie sie in den vergangenen 20 Jahren zu den historischen Frauenbewegungen in Galizien, Polen, Ungarn oder Siebenbürgen unternommen wurden2, stehen für die östlichen Reichsprovinzen noch aus.
Der Workshop, der in Kooperation mit dem Archiv der deutschen Frauenbewegung, Kassel, durchgeführt wird, möchte anhand aktueller Projekte den Fokus auf diese östlichen Provinzen richten, Forschungsdesiderate benennen und Verflechtungen und Netzwerke zwischen den regionalen Bewegungen diskutieren. Hierfür und für eine vergleichende Perspektive sind auch Beiträge zu historisch-peripheren Regionen in anderen Staaten Ost(mittel)europas und im Westen Deutschlands willkommen.
Der Workshop findet am 25. Juni 2024 im Bundesinstitut für Kultur und Geschichte des östlichen Europa in Oldenburg i. O. statt. Reisekosten können erstattet werden, wenn entsprechende Mittel zur Verfügung stehen; andernfalls ist die Durchführung als Online-Workshop geplant.
Bitte senden Sie ein kurzes Exposé Ihres Forschungsvorhabens und Angaben zu Ihrer Person bis zum 15.03. 2024 an: Dr. Heinke Kalinke (heinke.kalinke@bkge.uni-oldenburg.de)
Anmerkungen
1 So der Titel des 2007 erschienenen Heftes 51 von Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergesichte.
2 In aller Kürze sei hier verwiesen auf die Arbeiten von N. Stegmann (2000), E. Schüller (2005), D. Hüchtker (2014), A. Leszczawski-Schwerk (2015), I. Schiel (2018) und. I. Dadej (2019).