Zum Inhalt springen
Laufendes Projekt

Russlanddeutsche Geschichte und post(ost)migrantische Gesellschaft

Forschungslage

Die Erforschung russlanddeutscher Geschichte und Gegenwart besitzt sowohl in historischer Perspektive als auch gegenwärtig eine hohe Relevanz. Rund 2,5 Millionen Russlanddeutsche leben in der Bundesrepublik Deutschland. Diese große, zahlenmäßige Bedeutung steht nach wie vor in Diskrepanz zum geringen Wissen der Gesamtgesellschaft über diese Menschen und ihre wechselvollen Biographien – ein Umstand, den das BKGE durch die kontinuierliche Beschäftigung mit der Thematik verbessern möchte.

Zentrales Anliegen ist die konzeptionelle Öffnung des Feldes. Russlanddeutsche Geschichte ist globale Migrationsgeschichte: Sie reicht von Westeuropa über das Russländische Reich und den (post-)sowjetischen Raum bis nach Nord- und Südamerika – vielfältige Migrationswege, die das Thema für die Forschung vielfältig anschlussfähig machen. Und die es zugleich zu einem zentralen Teil der post(ost)migrantischen Gegenwart der Bundesrepublik werden lassen.

Kontakt: PD Dr. Hans-Christian Petersen

Forschungsverbund „Ambivalenzen des Sowjetischen“

Logo weiss

(Daniel Gebel, Hans-Christian Petersen, Alina Jašina-Schäfer)

Der Forschungsverbund „Ambivalenzen des Sowjetischen: Diasporanationalitäten zwischen kollektiven Diskriminierungserfahrungen und individueller Normalisierung, 1953-2023" untersucht am Beispiel von Russlanddeutschen und sowjetischen Jüdinnen und Juden das vermeintliche Paradox der gruppenkonstituierenden kollektiven Repressionserfahrung und der alltäglichen individuellen sowjetischen „Normalisierung". Dabei richtet sich der Fokus insbesondere auf die Peripherien der späten Sowjetunion. Zum anderen erforschen wir, was diese Erfahrungen mit denjenigen machten, die nach dem Auseinanderfall der Sowjetunion auswanderten, oder auch mit jenen, die blieben.
Der Verbund läuft von 2020 bis 2024 im Rahmen des Niedersächsischen Vorab. Er umfasst Standorte in Göttingen, Oldenburg, Lüneburg und Wien. Am BKGE waren zwei Projekte angesiedelt:

  • Daniel Gebel, M.A.: Alltag und Erinnerung. Russlanddeutsche und jüdische Kontingentflüchtlinge und ihr „sowjetisches Gepäck" nach der Emigration
  • Dr. Alina Jašina-Schäfer: Post-Socialist Imaginations and the Value of Self: Navigating Work, Family Life and Gender after Migration// Postsozialistische Vorstellungen und der Wert des Selbst: Arbeit, Familienleben und Gender nach der Migration

Einen literarischen Einblick in die turbulenten, (post)sowjetischen Lebenswelten eröffnet Artur Weigandts literarisches Roadmovie „Die Verräter". Hans-Christian Petersen hat es gelesen: Ambivalenzen des Sowjetischen - Projektblog, 19. April 2023.

Antiosteuropäischer und antislawischer Rassismus

(Hans-Christian Petersen)

Menschen aus dem östlichen Europa erlebten und erleben in Deutschland vielfach Diskriminierung und Ausgrenzung. Im öffentlichen Bewusstsein und in aktuellen antirassistischen Debatten kommen ihre Erfahrungen bisher jedoch kaum vor. Dabei machen Personen mit Migrationsgeschichte aus dem östlichen Europa mit über 9,5 Millionen Menschen rund 40 Prozent aller in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund und rund ein Neuntel der Gesamtbevölkerung aus. Es ist wichtig, ihre Erfahrungen zur Kenntnis zu nehmen und über antiosteuropäischen und antislawischen Rassismus zu sprechen. Der Blick auf das Nachwirken des kolonialen und rassistischen deutschen Erbes im östlichen Europa – eine „Osterweiterung der Erinnerung" (Mark Terkessidis) und damit auch der Rassismusdebatte – ist überfällig und dringend notwendig.
Gemeinsam mit Jannis Panagiotidis (RECET Wien) sowie jungen Aktivist*innen betroffener Gruppen arbeitet Hans-Christian Petersen daran, das Thema auf die Agenda zu setzen. Daraus sind zahlreiche Online-Formate und Expertisen entstanden – hier eine kleine Auswahl:

Gemeinsam mit Jannis Panagiotidis (RECET Wien) hat er zudem die erste, grundlegende Studie zu Geschichte und Gegenwart des antiosteuropäischen Rassismus in Deutschland veröffentlicht.

Diskriminierung von Menschen osteuropäischer Herkunft auf dem Arbeitsmarkt

Karl Stumpp (1896-1982) und die Datafizierung russlanddeutscher Geschichte

(Hans-Christian Petersen)

Karl Stumpps Erbe prägt bis heute die russlanddeutsche Geschichts- und Identitätspolitik. Vor allem die auf ihn zurückgehenden Daten und Karten, die bei google maps digital reproduziert werden, bilden bis heute den Unterbau des russlanddeutschen, kulturellen Gedächtnisses. Ausgeblendet wird dabei, dass Stumpps Erbe ein höchst ambivalentes ist: Einerseits steht sein Name für lebenslangen Aktivismus für die ‚eigene Gruppe' und die Gründung russlanddeutscher Interessensorganisationen in Westdeutschland und den USA nach 1945. Anderseits stammt der Großteil der vermeintlich objektiven Daten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, als er in der deutsch besetzten Ukraine dem „Sonderkommando Dr. Stumpp" vorstand, das ‚rassische' Erfassungen der Bevölkerung durchführte. Dies wirft die Frage nach Kontinuitäten und Brüchen auf. Und verweist zugleich über die Biographie Stumpps hinaus auf unseren zukünftigen Umgang mit der Datafizierung russlanddeutscher Geschichte und dem mit ihr verbundenen, völkischen Erbe.
Für die Studie wurden Archive von Kyjiv bis in den Mittleren Westen der USA aufgesucht. Das Buch wird voraussichtlich 2026 in der Schriftenreihe des BKGE erscheinen.

Bildunterschrift: Amercian Historical Society of the Germans from Russia (AHSGR). Research Library, Lincoln Nebraska, September 2022 (Foto: Hans-Christian Petersen).

  1. Startseite
  2. Russlanddeutsche Geschichte und post(ost)migrantische Gesellschaft