1.1 Grundannahmen zum Sprachkontakt im Teschener Raum
Die deutschen Lehnwörter in den westslavischen Sprachen stellen ein
altbekanntes, aber längst noch nicht erschöpfend behandeltes
Aufgabengebiet der vergleichenden Lexikologie dar. Wenn hier eine Arbeit
vorgelegt wird, die das entlehnte Wortgut in einem begrenzten, zudem
aus dem Blickwinkel aller westslavischen Sprach- und Kulturräume eher
peripheren Gebiet, eben dem ehemaligen Herzogtum Teschen behandelt, so
bedürfen die Gründe für diese Untersuchung sicherlich in
verschiedenerlei Hinsicht einer Erläuterung.
Für den
deutsch-polnischen Kulturkontakt besitzt Schlesien qualitativ und
quantitativ eine große Bedeutung, größer jedenfalls als die der weiter
nördlich gelegenen Gegenden (Ermland, Masuren, Pommern, Großpolen). Der
Teschener Raum wiederum hat innerhalb von Schlesien über die
Jahrhunderte hinweg eine historische Sonderentwicklung genommen, die
sich auch auf die sprachlichen Verhältnisse auswirkte. Das Gebiet des
ehemaligen Herzogtums Teschen liegt geographisch im Bereich der
Mährischen Pforte und somit im Schnittpunkt mehrerer Kulturräume: des
oberschlesischen mit den benachbarten Herzogtümern Oppeln, Troppau,
Ratibor, Pless und Auschwitz, des kleinpolnischen, des mährischen sowie
schließlich des westslovakischen. Bis in die Teschener Beskiden reichte
die sog. "wallachische Kolonisation" ursprünglich romanisch-stämmiger
Hirten im 15. und 16. Jahrhundert. Auch mehrere deutsche
Siedlungsbewegungen sind festzustellen; diese bezogen sich jedoch im
wesentlichen auf die Städte und erfaßten die ländliche Bevölkerung nur
in kleinerem Ausmaß. So kam es nicht zu einem ähnlich durchgreifenden
Prozeß der Germanisierung wie in weiten Teilen Schlesiens und im
Sudetenland. Aufgrund der peripheren Lage erreichten Fremdeinflüsse das
Teschener Gebiet in etwas abgeschwächter Form. Ihr Zusammenwirken im
Teschener Dialekt zu erforschen, ist eine kultur- und
sprachwissenschaftlich überaus ansprechende Aufgabe. Die deutschen
Lehnwörter werden dabei als lexikalische Spuren des Kulturkontakts im
Wortschatz des Polnischen bzw. seiner Dialekte angesehen. Es geht hier
also nicht um eine abgrenzende Untersuchung, die das deutsche Moment in
einem östlichen Lebensraum vom umgebenden, hier slavischen abhebt,
sondern um die Erforschung eines "symbiotischen Phänomens":
Kulturtransfer im Spiegel des Wortschatzes.
Eine grundlegende
Besonderheit des betreffenden Raums ist der lang andauernde
polnisch-tschechische Sprachkontakt. Wie das gesamte Schlesien, so wurde
auch das Teschener Land im Jahre 1339 vom polnischen König Kasimir III.
an die Krone Böhmen abgetreten. Doch nirgends regierten die
germanisierten Angehörigen des alten polnischen Herrschaftsgeschlechts
der Piasten länger als in Teschen: bis ins Jahr 1654. War das Land auch
in seiner politischen Entwicklung mit Mähren verbunden und in den
Geltungsbereich der tschechischen Amtssprache eingegliedert, so behielt
es doch starke ethnische Bezüge zu Polen bei. In konfessioneller
Hinsicht hob sich das Gebiet des Herzogtums Teschen zwar von Polen und
Mähren ab, hingegen weniger von den anderen schlesischen Herzogtümern:
Nach der Annahme der Reformation durch Herzog Wenzel Adam (1545-1576)
verbreitete sich im Land das lutheranische Bekenntnis, das auch durch
die nach 1654 erfolgende Gegenreformation nur teilweise zurückgedrängt
wurde. Teschener Protestanten entwickelten eigene Bildungstraditionen,
die sich im wesentlichen auf polnische protestantische Schriften des 16.
und 17. Jahrhunderts stützten. Ob ein gewisser Archaismus des Teschener
Dialekts auf die jahrhundertelange Verwendung dieser "alten Bücher"
zurückzuführen ist (vgl. RACLAVSKÁ 1998, 44), kann hier nicht
entschieden werden.
Für den Teschener Raum ist also ein
Nebeneinander von polnischem Dialekt und tschechischer Schrift bzw.
Standardsprache charakteristisch, welches um die Mitte des 19.
Jahrhunderts durch den wachsenden Einfluß der polnischen Standardsprache
ergänzt wurde. Mittlerweile war das nach den Schlesischen Kriegen bei
der Krone Böhmen verbliebene Gebiet der Herzogtümer Troppau und Teschen
von Mähren administrativ getrennt worden. Zwar verblieb die
Verwaltungsgrenze gegenüber dem polnisch dominierten Königreich Galizien
und Lodomerien im Habsburgerreich, doch war diese offensichtlich für
die kulturellen Beziehungen zu Polen kein wesentliches Hindernis. Als
das Land nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zwischen Polen und der
Tschechoslovakei entlang des Flusses Olsa geteilt wurde, fand die
einheitliche Entwicklung des Gebiets allerdings ein Ende. Während im
Polen zugeschlagenen Teil nordöstlich der Olsa der Teschener Dialekt des
Polnischen und die polnische Standardsprache im öffentlichen Leben
aufeinandertrafen, wurde im tschechoslovakisch verwalteten Südwesten des
ehemaligen Herzogtums das Tschechische zur Amtssprache. Naturgemäß
ergaben sich im Verlaufe des 20. Jahrhunderts unterschiedliche
Entwicklungstendenzen bei den dialektalen Sprachverhältnissen, die durch
den Kontakt mit den beiden verschiedenen Standardsprachen im
offiziellen Gebrauch bedingt sind. Im tschechoslovakischen Gebiet fand
überdies im Rahmen der Industrialisierung ein starker Zuzug von
Bevölkerungsgruppen aus anderen Landesteilen statt. Für die Ausgangslage
der vorliegenden Untersuchung gilt also, daß der deutsche Einfluß auf
das dialektale Sprachsystem seit 1918 insgesamt stark zurückging und
nach 1945 geschwunden ist. Wichtiger wird im Gegenzug die
Wechselbeziehung zwischen Dialekt und genetisch verwandten
Standardsprachen, wobei im Olsa-Gebiet allerdings der alte ethnische
Gegensatz zwischen den Trägern des ländlichen Dialekts und denjenigen
der Amts- und Standardsprache weiterbesteht.
Aus den hier nur
ganz kurz angedeuteten komplexen politischen und sprachgeschichtlichen
Verhältnissen wird deutlich, daß die Entwicklung der deutschen
Lehnwörter im Teschener Dialekt sehr vielfältige Bedingungen hat. Ein
direkter Kontakt zwischen deutschsprachiger und slavischsprachiger
Bevölkerung hat natürlich auch in dieser Gegend stattgefunden; er war
aber bedeutend schwächer als in anderen Gebieten, eben weil die
deutschsprachige Bevölkerung weitgehend auf den Bereich des Städtischen
und Staatlichen beschränkt blieb. In diesen und anderen Lebensbereichen
konnte aber auch indirekter Sprachkontakt stattfinden, und dafür
eröffneten sich mannigfache Vermittlungswege. So konnte deutsches
Lehngut zunächst in der Kommunikation mit Oberschlesien, das seit den
Schlesischen Kriegen zu Preußen gehörte, aus den dortigen polnischen
Dialekten übernommen werden. Es ist anzunehmen, daß diese Lehnkontakte
die Welt des Alltagslebens, aber auch diejenige von Bergbau und
Industrie betrafen. Andere kulturelle Sphären können erfaßt werden durch
dasjenige Lehngut, das seinen Weg aus der polnischen Standardsprache in
den Teschener Dialekt fand. Für das 19. Jahrhundert ist hier vor allem
der Kontakt zur Universitätsstadt Krakau wichtig. Aber auch zuvor in das
Tschechische eingegangene Lehnwörter wurden in den Teschener Dialekt
weitervermittelt. Bekanntlich nahm das Tschechische zumindest bis zum
Beginn des 17. Jahrhunderts sehr häufig eine Vermittlerrolle zwischen
dem Deutschen und dem Polnischen ein. Viele vermeintlich deutsche
Lehnwörter im Polnischen (und ebenso die Dinge und Ideen, die sie
bezeichnen) sind nicht unmittelbar aus einer Kontaktsituation mit dem
Deutschen ins Polnische übergegangen, sondern über das Tschechische,
also durch den böhmischen und mährischen Raum. Diese Vermittlerrolle
ist, was die tschechische Schriftsprache betrifft, im 17. Jahrhundert
schwächer geworden; gerade für den Teschener Raum geht man jedoch von
der Existenz einer lokal verwendeten tschechischen Amtssprache auch im
18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus (GREŃ 2000, 33) (1).
Die potenzielle Vermittlerrolle besonders der mährischen Dialekte zum
Teschener Raum hat sich offensichtlich ununterbrochen fortgesetzt; sie
ist allerdings noch weitgehend unerforscht. Es ist unstrittig, daß
aufgrund der Dominanz des Deutschen im 17. und 18. Jahrhundert in den
habsburgischen Ländern der Krone Böhmen eine Fülle von Lehnwörtern aus
der deutschen "Dachsprache" in die böhmischen und mährischen sowie auch
in die polnischen Dialekte des Teschener Raums eingegangen sind. Über
diese angrenzenden Dialekte war ein direkter Bezug zum ländlichen
Lebensraum gegeben, in neuerer Zeit aber auch wiederum zu
industrialisierten Gesellschaftsstrukturen - im nordmährischen
Industriegebiet. Nach 1918 baute das Tschechische seine Rolle als
Amtssprache im Gebiet südwestlich der Olsa wieder stark aus, so daß hier
mit der Vermittlung von Lehnmaterial zu rechnen ist, das sich auf die
staatlichen Strukturen und das Verwaltungswesen bezieht. Aufgrund der
starken puristischen Tendenzen im Tschechischen des 19. Jahrhunderts
scheint diese Rolle allerdings recht gering auszufallen. Wesentlicher
ist die tschechische Umgangssprache, über die Termini z. B. des Militär-
und Eisenbahnwesens in den Wortschatz des Teschener Dialekts gelangt
sein können. Hier sei nur angegeben, daß eine großangelegte Untersuchung
deutscher Lehnwörter in der tschechischen Umgangssprache während der
1960er Jahre den Bestand von über 3800 Stichwörtern erbracht hat: Die
wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit sind in dem Aufsatz SKÁLA (1968)
niedergelegt. Für die Verhältnisse vor 1918 ist der tschechische Einfluß
sachlich allerdings nur schwer vom polnischen abzugrenzen, da die
Königreiche Böhmen und Galizien-Lodomerien in die gleichen staatlichen
Strukturen einbezogen waren (2).
Mit
WRONICZ (1992) liegt eine historisch-lexikalische Untersuchung vor, die
auch etymologische Verhältnisse für das Teschener Schrifttum im 18.
Jahrhundert behandelt. Die Autorin weist darauf hin, wie schwierig es
ist, Archaismen polnischer, tschechischer und dialektaler Herkunft zu
unterscheiden (WRONICZ 1992, 154). Für die dialektalen Verhältnisse im
20. Jahrhundert sind die Vermittlungswege aus den beiden Nachbarsprachen
sicherlich etwas leichter gegeneinander abzugrenzen, zumal bei einer
Beschränkung auf das deutsche oder deutsch vermittelte Lehnwortgut. -
Angestrebt wird im folgenden eine Dokumentation des deutschen Lehnworts
im Teschener Polnischen des 20. Jahrhunderts, die nicht zuletzt klären
soll, in welchem Umfang diese Lehnwörter (symptomatisch für die durch
sie bezeichneten Ideen und Dinge) aus dem unmittelbaren Kulturkontakt
mit dem Deutschen oder aus einem mittelbaren Kulturkontakt stammen, bei
dem das Polnische (bzw. seine oberschlesischen Dialekte) oder das
Tschechische (bzw. seine mährisch-schlesischen Dialekte) eine Rolle
gespielt haben. So ist auch zu überprüfen, ob eine Entlehnung zwar
regional begrenzt stattgefunden, aber den ganzen oberschlesischen
Kontaktraum erfaßt hat. Am Rande soll auch eine Klärung erfolgen,
inwieweit der Teschen-schlesische Lehnwortschatz mit dem
allgemeinpolnischen (in historischer und gegenwartsbezogener
Perspektive) übereinstimmt, inwieweit eher altes deutsches Lehnwortgut
aus dem Allgemeinpolnischen tradiert wird bzw. welche Archaismen und
Innovationen hier festzustellen sind.
Anmerkungen:
(1)
Insofern hat der Teschener Raum in sprachlicher Hinsicht nicht nur
gegenüber dem Polnischen, sondern auch gegenüber dem Tschechischen eine
besondere Entwicklung vollzogen.
(2)
Eine große Übereinstimmung des Inventars von umgangssprachlichen
Lehnwörtern bestätigt SKÁLA (1968, 133f) schließlich nicht nur für die
slavischen Sprachen, sondern selbst noch für das Ungarische.
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