Online-Tagung: Unter Beobachtung – Vertriebenenorganisationen und -funktionäre im Blick der sozialistischen Staaten des östlichen Europas (1949–1989)
Am 23. und 24. September 2021 veranstaltet das Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Oldenburg, eine internationale Online-Tagung unter dem Titel Unter Beobachtung – Vertriebenenorganisationen und -funktionäre im Blick der sozialistischen Staaten des östlichen Europas (1949–1989).
Die Staaten des östlichen Europas, in denen vor 1939 deutsche Minderheiten gelebt hatten oder an die nach dem Zweiten Weltkrieg Gebiete des Deutschen Reiches übergegangen waren, beobachteten die politischen Aktivitäten der aus diesen Territorien geflohenen und vertriebenen Deutschen in der Bundesrepublik aufmerksam. Die meisten der von der Observation betroffenen Personen kamen aus Regionen, die nunmehr zu Polen und der Tschechoslowakei gehörten. In beiden Ländern hatte sich in der Zwischenkriegszeit das Zusammenleben mit der deutschen Minderheit problematisch gestaltet. Während des Zweiten Weltkrieges hatten Polen und Tschechen unter den Verbrechen der Nationalsozialisten gelitten, in die auch ‚Volksdeutsche' involviert waren. Die Forderungen der bundesdeutschen Vertriebenenverbände nach Gebietsrückgaben verstärkten die auf negativen Erfahrungen beruhenden Wahrnehmungen dieser Staaten. Somit handelte es sich um eine durch Misstrauen geprägte und ideologisch aufgeladene ‚Feindbeobachtung' im Ost-West-Konflikt.
Die Tagung nimmt die Observation der seit Ende der 1940er Jahre in der Bundesrepublik entstandenen Vertriebenenorganisationen und -funktionäre durch ausgewählte sozialistische Länder des östlichen Europas wie Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Jugoslawien in den Blick. Sie fragt nach den Methoden der Sammlung und Auswertung von Informationen über Vertriebenenorganisationen und deren Akteure durch die Nachrichtendienste. Dabei untersucht sie auch, welche Rolle die NS-Vergangenheit einiger dieser Funktionäre spielte. Darüber hinaus wird nach der Bedeutung gefragt, die Spitzenpolitiker der Staaten des östlichen Europas diesen Berichten beimaßen. Die staatlich gelenkten Medien einiger sozialistischer Länder nutzten die territorialen Forderungen der Vertriebenenverbände propagandistisch, um in der Bevölkerung Angst vor den Deutschen zu schüren. Wie bedroht fühlte sich die politische Führung jedoch tatsächlich durch diese Ansprüche? In diesem Zusammenhang ist auch nach Wandlungsprozessen in der Zeit zwischen 1949 und 1989 zu fragen: Wie reagierten die Länder des östlichen Europas beispielsweise auf den allmählichen Bedeutungsverlust der Vertriebenenorganisationen? Welche Rolle spielten politische Umbrüche in der BRD wie die Neue Ostpolitik der sozial-liberalen Regierungskoalition unter Willy Brandt?
Die Tagung will diese Fragen anhand von mehreren Länder-, Personen- und Fallstudien aufgreifen und damit einen Beitrag zur Beobachtung und Wahrnehmung der bundesdeutschen Vertriebenenmilieus in den Staaten des östlichen Europas leisten.
Im Anschluss an die Konferenz werden ausgewählte Beiträge im Journal für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (JKGE) / Journal for Culture and History of the Germans in Eastern Europe als Themenausgabe publiziert.
Kontakt: Dr. Stefan Lehr
Abbildung: Bericht der tschechoslowakischen Botschaft in Bonn an das Außenministerium der Tschechoslowakei über die Sudentendeutsche Landsmannschaft v. 17.12.1974. Národní Archiv České republiky, Praha, f. Gustáv Husák, k. 410 (Ausschnitt).