1.2 Zur Materialgrundlage der vorliegenden Arbeit
Die eingangs dargestellten Verhältnisse mögen ein hinreichender Anreiz dafür sein, das deutsche Lehnwortmaterial im Teschener Dialekt des Polnischen zunächst zusammenzustellen und dann den Versuch zu unternehmen, den Entlehnungswegen dieses Wortgutes weiter nachzugehen.
Hinzu kommen mehrere praktische Erwägungen, die zugunsten dieses Unterfangens sprechen und die hier ebenfalls gewürdigt werden müssen. Zu verweisen ist vor allem darauf, daß die Verfasser seit längerem in unterschiedlichem Maße an der Erstellung des "Wörterbuchs der deutschen Lehnwörter im Polnischen" (WDLP; zu den Kürzeln vgl. das Quellenverzeichnis unter 4.) mitgewirkt haben, das in Kürze im Druck erscheinen wird. Dieses Werk enthält Angaben zu allen in der polnischen Schriftsprache von den ersten Quellen an bis in die lexikographischen Arbeiten der 1960er Jahre belegten Lehnwörtern aus dem Deutschen, sofern sie erstens eine gesicherte deutsche (germanische) Etymologie haben und zweitens offensichtlich direkt ins Polnische übernommen wurden, ohne den Umweg über andere Vermittlersprachen. Dieses lexikographische Material liegt den Autoren vor; es wurde für die Erstellung des Wörterbuchs zum Lehnwortgut im Teschener Dialekt herangezogen und ausgewertet.
Dabei geht das vorliegende Teschener Lehnwörterbuch in mehrerer Hinsicht über die Prinzipien für die Aufnahme von Lemmata in das WDLP hinaus: Zunächst einmal wird hier erstmalig dezidiert eine dialektale Varietät des Polnischen untersucht. Für das areal viel umfassender konzipierte WDLP konnten ausschließlich dialektal belegte Lehnwörter aufgrund der Fülle des Materials nicht berücksichtigt werden. Es ist geplant, die Erforschung der deutsch-polnischen Lehnbeziehungen im dialektalen Bereich in der Zukunft auf weitere Regionen auszudehnen. Das Wörterbuch der deutschen Lehnwörter im Teschener Dialekt stellt den ersten Versuch dar, die an der polnischen Schriftsprache orientierte Arbeit des WDLP um dialektales Material zu ergänzen. Zweitens wurde aufgrund der geographischen Randlage und der politischen Besonderheiten des Teschener Raums davon Abstand genommen, nur direkt entlehntes Wortgut in das Teschener Lehnwörterbuch aufzunehmen: Wie oben angedeutet, können deutsche Lehnwörter über das Polnische und / oder über das Tschechische, und zwar jeweils in ihren standardsprachlichen, umgangssprachlichen und dialektalen Varietäten, in den Teschener Dialekt gelangt sein. Direktentlehnungen auszusondern, ist praktisch kaum möglich. Ebenso wäre es unvorteilhaft, tschechisch vermittelte deutsche Lehnwörter unberücksichtigt zu belassen, wie dies im Fall des WDLP mit seinem umfassenden chronologischen Anspruch sicherlich berechtigt ist. Für den Teschener Dialekt ist die Abgrenzung von tschechisch bzw. polnisch vermitteltem Lehnwortgut, wo immer sie möglich ist, kulturgeschichtlich sehr instruktiv. Deshalb ist dieser Frage im folgenden auch weiter nachzugehen. Drittens wurde in Anbetracht des vorliegenden Materials auch darauf verzichtet, nur Lehnwörter mit ursprünglich deutscher Etymologie aufzunehmen. Bei einer bestimmten Anzahl der ermittelten Lehnwörter liegt eine romanische oder "exotische" Etymologie vor, doch ist eine Direktentlehnung unwahrscheinlich und die deutsche Vermittlung in den Teschener Dialekt unter formalen oder semantischen Gesichtspunkten zweifelsfrei zu erweisen. Da dieses Wortmaterial oft in Hinsicht auf die Abgrenzung des polnischen und tschechischen Vermittlungsweges aufschlußreich ist, wurde es auch in die vorliegende Arbeit aufgenommen.
Das ausgewählte Wortmaterial enthält im allgemeinen nur Wörter mit unstrittig deutscher Etymologie. Im Einzelfall können auch Lemmata auftreten, über deren etymologische Herkunft in der einschlägigen Literatur unterschiedliche Ansichten bestehen. Darauf wird in einem Kommentar gesondert hingewiesen. Strenger sind die Aufnahmekriterien für deutsch vermittelte Lehnwörter: Sofern die deutsche Vermittlung eines Worts mit ursprünglich nicht-deutscher Etymologie im Westslavischen nicht zweifelsfrei anhand semantischer oder formaler Kriterien nachzuweisen ist, wird das betreffende Lehnwort in der vorliegenden Arbeit nicht berücksichtigt.
Daß die Untersuchung des deutschen Lehnmaterials in den Dialekten des Polnischen gerade mit dem Teschener Dialekt begonnen wurde, hat schließlich seinen Grund in einer sehr guten lexikographischen Bearbeitung des betreffenden Areals. Die sprachlichen Verhältnisse im ehemaligen Herzogtum Teschen stehen seit langem im Zentrum einer wissenschaftlichen Diskussion. Auf einen ausführlichen Bericht zum Stand der Forschung kann hier verzichtet werden; es sei nur auf die umfassenden Bibliographien bei HANNAN (1996) und LABOCHA (1997) verwiesen (1). Zwei neuere monographische Arbeiten sind RACLAVSKÁ (1998) mit einer lexikologischen Untersuchung zum Teschener Polnischen des 19. Jahrhunderts und GREŃ (2000) als Analyse des Verhältnisses von Dialekt und Standardsprache im Teschener Raum in Vergangenheit und Gegenwart. Ältere Arbeiten sind in den vorgenannten Werken aufgeführt; vgl. auch das Verzeichnis der benutzten Quellen unter (4.).
Die direkte Grundlage dieses Bandes ist schließlich das unter der Redaktion von J. Wronicz 1995 erschienene Wörterbuch "Słownik gwarowy Śląska Cieszyńskiego" (SGŚC). Mit diesem Werk liegt eine Inventarisierung des Teschen-polnischen Wortschatzes vor, die den Ausgangspunkt für unsere Untersuchung darstellt. Andere schlesische Mundarten (der Oppelner Raum und das Industrierevier) sind zwar in Sprachatlanten und Einzeldarstellungen meist in der Form von Aufsätzen behandelt worden, aber noch nicht lexikographisch erschlossen (2). Das Wörterbuch ist kontrastiv aufgebaut, insofern es Lemmata enthält, die in geläufigen einbändigen Wörterbüchern der polnischen Standardsprache der Gegenwart nicht oder formal bzw. semantisch abweichend auftreten. Dieser Grundbestand an Dialektismen wird ergänzt um einige spezifische landwirtschaftliche Termini, deren Verbreitung in der Allgemeinsprache den Autoren - trotz der Aufnahme in die standardsprachlichen Wörterbücher - zweifelhaft erscheint. Wertvoll ist diese Arbeit nicht zuletzt deshalb, weil sie neben Bedeutungsangaben der behandelten Lemmata in polnischer Standardsprache auch Verwendungsbeispiele der betreffenden Formen im Satzzusammenhang angibt. Nicht zuletzt in dieser Hinsicht geht das genannte Quellenwerk wesentlich über ältere Arbeiten wie z.B. die Studie "Východolašská nářečí" von A. Kellner (KEL) hinaus.
Das Wörterbuch SGŚC ist Ende der 1980er / Anfang der 1990er Jahre aus den Aufzeichnungen mehrerer Sprecher der örtlichen Dialekte entstanden, mit einem Schwerpunkt im Bereich von Ustroń an der oberen Weichsel. Ergänzt wurde das Material durch Sprecherbefragungen in den anderen Teilen des Dialektgebiets. Diese ließen die Redakteure zu dem Schluß kommen, daß sich das gesamte Gebiet des ehemaligen Herzogtums Teschen in lexikalischer Hinsicht als Einheit betrachten läßt, einschließlich des heute tschechischen Olsa-Gebiets (3). Auf genaue Angaben zur Herkunft der einzelnen Wörter wird in SGŚC verzichtet. Im Einzelfall können jedoch diejenigen Lemmata, die nur aus der Gebirgsregion des Herzogtums oder nur aus dem Olsa-Gebiet bekannt sind, ebenso wie die fachsprachlich beschränkten Lemmata eigens bezeichnet werden (vgl. 3.1 und 3.2 zu den entsprechenden Deskriptoren).
Die redaktionellen Grundentscheidungen des SGŚC wurden in der vorliegenden Arbeit übernommen. Aus den fast 7000 Lemmata des SGŚC wurden 839 Lehnwörter ermittelt, die im vorliegenden Wörterbuch der deutschen Lehnwörter im Teschener Dialekt Lemmastatus erhalten. Hinzu kommen 321 Ableitungen, die zum großen Teil in SGŚC ebenfalls lemmatisch sind, in der vorliegenden Arbeit aber aufgrund der zugrundegelegten Wortneststruktur keinen eigenen Lemmastatus erhalten haben. Schließlich sind auch 85 formale Varianten von lemmatischen Formen oder von Ableitungen ermittelt worden, die in SGŚC in der Regel nur dann über einen Lemmastatus verfügen, wenn sie solche Anlautvarianten darstellen, die in der alphabetischen Abfolge an unterschiedlichen Stellen eingeordnet werden. - Insgesamt läßt sich also festhalten, daß das in SGŚC enthaltene Wortmaterial zu über 15 % aus deutschen oder deutsch vermittelten Lehnwörtern besteht.
Das aus SGŚC exzerpierte Lehnmaterial wurde hinsichtlich seiner deutschen Etymologie aufgearbeitet und mit zahlreichen weiteren lexikographischen Quellen abgeglichen. Zunächst wurde seine Verbreitung in den schlesischen Dialekten des Deutschen, vor allem anhand des "Schlesischen Wörterbuchs" von W. Mitzka (MIT) überprüft. Dann wurden, meistens auf der Grundlage der umfassenden lexikographischen Angaben in WDLP, Einzelheiten zur Existenz der betreffenden Lexeme in der älteren polnischen Schriftsprache bzw. in der polnischen Standardsprache bestimmt. Ergänzend mußten auch Untersuchungen zur sonstigen dialektalen Verbreitung der jeweiligen Lemmata im Polnischen durchgeführt werden. Diese stützen sich einmal auf das allgemeine, sechsbändige polnische Dialektwörterbuch "Słownik gwar polskich" von J. Karłowicz (SGP). Zudem wurden anhand mehrerer Dialektwörterbücher des oberschlesischen Raums die Entsprechungen zu den unmittelbar benachbarten Dialekten des Polnischen bestimmt. Parallel hierzu waren natürlich auch mögliche Entsprechungen zu den behandelten Lehnwörtern aus dem tschechischen und mährischen Raum beizubringen. Diese konnten sich jedoch nicht auf ähnlich umfangreiche Vorarbeiten stützen, wie es im Fall des polnischen Sprachgebiets möglich war. Für die tschechische Standardsprache wurde im wesentlichen das Wörterbuch "Slovník spisovného jazyka českého" von B. Havránek (SSJČ) konsultiert, wobei auch Angaben zu den nicht der spisovná češtiná zugehörigen Varietäten übernommen wurden. Angaben zum Alttschechischen konnten nicht regelmäßig eingearbeitet werden. Da fundierte neuere Arbeiten zum Wortbestand insbesonderes der mährischen Dialekte noch fehlen, ist das Material zu den tschechischen Dialekten im wesentlichen auf den Bereich des mährisch-schlesischen Kontaktgebiets zu beschränken (4). Für die vorliegende Arbeit wurden die ermittelten Lehnwörter des Teschener Dialekts mit mehreren tschechischen Dialektwörterbüchern aus diesem Bereich abgeglichen. Historische Vermittlungen deutscher Lehnwörter über das Tschechische ins Polnische können anhand der einschlägigen Untersuchung von M. Basaj und J. Siatkowski (BAS) dargestellt werden.
Anmerkungen:
(1) Die sehr detaillierte, soziolinguistische Untersuchung von Hannan wird offensichtlich, wohl aufgrund der englischen Publikationssprache, nur schlecht rezipiert.
(2) Das großangelegte Dialektwörterbuch zum oberschlesischen Polnischen unter der Redaktion von B. Wyderka (WYD) befindet sich zum Zeitpunkt der Abfassung der vorliegenden Studie erst am Anfang seiner Publikationsphase.
(3) Damit steht das Buch übrigens im Gegensatz zu solchen Arbeiten wie BASARA (1975). Der Autor dieser Monographie hält die interne lexikalische Differenzierung des Teschener Dialekts für relativ groß; vgl. BASARA (1975, 10).
(4) In begründeten Einzelfällen wurde die areale Verbreitung eines Lehnworts in den tschechischen Dialekten anhand der Karthotek des tschechischen Dialektatlas ČJA geprüft.
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